Samstag, 3. Mai 2014

Kinder und Künstler: Ai Weiwei - Teil 1

Nachdem im letzten Post geklärt wurde, dass im realen Leben ungeheuer viel Anregendes liegt, um sich damit auseinanderzusetzen.... na, geklärt wurde es sicher nicht! Aber einmal angesprochen. Nachdem das also angesprochen ist, ist es nicht mehr so ein sehr weiter Schritt, Kinder und Konzeptkunst zueinander zu bringen oder gar nicht soo fern voneinander zu sehen.

Der "Uropa" allen dessen ist sicher Marcel Duchamp, dessen Ready Made "Fontaine" jedem in diesem Zusammenhang einfällt.

Dinge des Alltags so konstellieren und ins Blickfeld des Betrachters rücken, dass neue Bedeutungen erscheinen, zusammenschießen und neue Erkenntnisse und Sichtweisen sich herstellen.

Hier sind sich Konzeptkünstler und Kinder sicher recht nahe, denn das kindliche Spiel ist auch eines mit Bedeutungen, mit subjektiven Sichtweisen, mit Probehandeln, das zu Bedeutsamkeiten führt, die im konventionellen Alltag nicht so verankert sind.

Dachte ich mir, als ich versuchte, einen Besuch der Ausstellung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei für meine erste Klasse  zu organisieren.

Die Ausstellung heißt "Evidence" und findet im Martin-Gropius-Bau in der Stresemannstraße statt.

Evidenz ist das ins Auge Springende. das Offensichtliche; im Englischen heißt es aber Beweis/Beleg und auch Zeugenaussage vor Gericht.

Ai Weiweis Kunst verweist also eher auf (politische) Hintergründe für das, was für das sehende Auge zunächst einmal nicht evident ist und der Vermittlung durch Information bedarf.

Man muss also etwas wissen, um zu sehen, was die sechstausend Hocker, die im Lichthof des Gropiusbaus aufgestellt sind, bedeuten können.

"Je mehr man weiß, desto mehr sieht man." Goethe

Deshalb fragte ich mich auch:




Sind die Kinder denn nicht zu klein? Die Kunst Ai Weiweis ist eminent und evident politisch, und manche Bedeutung erschließt sich nicht ohne Vorwissen.

Aber vielleicht können die gezeigten, ausgestellten Dinge auch für sich stehen, haben einen ästhetischen Wert, der sie auch ohne Kenntnis der Hintergründe interessant macht.

Es gab eine Führung für 7-Jährige. Also werden die sich dabei auch etwas gedacht haben. Man durfte gespannt sein.

Eine kleine Einführung bereitete ich am Morgen durch das Auslegen von Tischlereiabfällen vor, vielfältig geformten Holzmaterialien, die bei uns zu Hause schon manches Kind, das zu Besuch war, zum spontanen Bauen angeregt hatten.



"Das hier sieht aus wie ein Klo", meinte Gabriel und hob ein besonders geformtes Holzstück hoch. Wir sahen es alle, nachdem er es gesagt hatte.

Auch Picassos Stierkopf aus Fahrradlenker und Sattel, über den wir morgens sprachen, legte ein wenig die Spur hin zu der Art von Kunst, für die Ai Weiwei steht.


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Dann ging es los!

Mit dem M 41 fuhren wir die Stresemannstraße Richtung Potsdamer Platz  bis zum Gropiusbau hoch.

Dort mussten wir erst ein wenig warten, das nutzten wir zu einem kleinen Treppenpicknick.



Lillies Mama war mitgekommen. So waren wir vier Erwachsene, Lillys Mutter, Hediye, unsere Erzieherin, Karla, meine Kollegin und ich.

Frau Kohlberg begrüßte uns und stellte sich uns als unsere Führerin durch die Ausstellung vor.
Überraschung: Sie bat uns nochmal nach draußen.




Dort stand ein Fahrrad mit einem Korb voller Blumen. Frau Kohlberg erzählte uns etwas über den Gropiusbau. Dass er 133 Jahre alt sei und.... - "Da haben ihn die Bauarbeiter gebaut!", meinte Pavel. "Ja! - Bertolt Brecht hätte das ganz genauso gesehen", meinte sie schlagfertig, und mir fiel  sein berühmtes Gedicht "Fragen eines lesenden Arbeiters" dabei ein: "Wer baute das siebentorige Theben?...."

Damit sind wir bei Frau Kohlberg. Sie war das Beste, was mir bei einer Schulführung in 38 Jahren je passiert ist. Sie sprach sparsam und akzentuiert, gab Anstöße, wartete, nahm die Reaktionen der Kinder auf, arbeitete damit weiter, achtete auf Stille beim Reden, sprach nie in eine unachtsame Gruppe hinein, vermittelte so unausgesprochen: Es ist wichtig, was ich zu sagen habe, und ich möchte, dass Ihr mir zuhört. So wie sie selbst den Kindern zuhörte, ihre Gedankenfäden aufnahm und mit ihnen gemeinsam weiterspann. Sie als ihre Gesprächspartner also tatsächlich ernst nahm!

Sie zeigte großes Wissen und auch, was nicht so häufig ist, große Leidenschaft für das, was sie gerade tat. Und deshalb kam auch so viel davon "rüber"!
Es war wirklich sehr erhellend. Sie erreichte die Kinder. Die Führung war für eine Stunde geplant, am Ende waren es eineinhalb Stunden gewesen und fast alle waren stets aufmerksam!!! 
Auch ich selbst als Erwachsene habe sehr viele Einsichten dazugewonnen.
Frau Kohlberg hat uns eine ganz geniale Situation beschert und dadurch viele Verknüpfungen und Erkenntnisse. Vielen Dank!!!


Man kann hier lesen, was es mit dem Fahrrad und den Blumen auf sich hat. Frau Kohlberg erzählte es uns. 

Dann gingen wir wieder hinein.

Dort setzten wir uns in der Mitte der Empfangshalle hin.




Über uns eine Menge zusammenhängender Fahrräder, die, wenn man nach oben ins Licht blickte, sich perspektivisch spiralig verjüngten, obwohl sie ja alle gleich groß waren.






Wieviel Ausprobieren, Ideen entwickeln und ihnen nachgehen steckt in einem solchen Werk?





Das hatte zunächst einmal eine ästhetische Qualität und es erschloss sich uns nicht Weiteres dazu. Doch Frau Kohlberg verteilte eine Karte an alle Kinder, das hätte ich jetzt echt nicht so gemacht.


Zunächst einmal: Was sollten die Kinder mit der Karte in der Hand zu Beginn der Ausstellung? Sie mit sich herumschleppen, fallenlassen? Die meisten Kinder gaben uns Erwachsenen anschließend sehr schnell ihre Karte - zum Aufbewahren? Zum....? ;)) Sie waren ein wenig konsterniert, wir auch. Denn Ai Weiwei war auf dem Bild komplett nackig. Sogar ohne Badehose. Das ist schon eine kleine Zumutung.

Vorher hatten wir ihn auch schon gesehen. Aber er hing an der Wand und man konnte hinsehen oder auch nicht.



Aber jetzt sollten wir uns damit auseinandersetzen. Für mich war das problematisch. Frau Kohlberg arbeitete die Verletzlichkeit heraus, die aus der Nacktheit spricht.




Viele Kinder steckten uns ihre Karte zu. Nach dem Ausflug hatten also wir die fast alle. Ich bin sicher, es wird uns kein Kind danach fragen und sie zurückhaben wollen.... Kunst soll ja auch provozieren. Für Erwachsene geht das. Aber sechs- und siebenjährige Kinder, was sollen die damit anfangen?

Nun kamen wir in den großen Lichthof mit der eigentlichen Ausstellung.



Sechstausend Hocker. Frau Kohlberg fragte, was man zum Bau eines solchen Hockers wohl braucht. "Nägel, Schrauben, Klebe und Holz", waren die Antworten.
Sie erläuterte, dass jeder Hocker nur aus Holz bestünde und auf alte Art gebaut worden war, durch Ineinanderfügen der genau passend gemachten Holzteile. Keine Nägel, keine Schrauben, kein Leim.
Manche Hocker waren vierhundert Jahre alt. Jeder Hocker war anders als alle anderen.

 


Die Menschen haben sie zurückgelassen, als sie in die neuen kleineren Wohnungen in die Städte gezogen sind, mit fließend Wasser und Heizung.
Genau wie ihre Tiere, sagte Frau Kohlberg. Die wurden auch alle einfach so zurückgelassen.

Ai Weiwei sammelte diese Hocker, denn jeder ist einzigartig. Die Alten in den Familien hatten sie früher mit ihren eigenen Händen in vielen Stunden Arbeit hergestellt.

Wenn man so drüberguckt, wie sieht denn das aus?, fragte sie. "Wie Wasser", kam die Antwort der Kinder, "wie ein Meer." "Genau, und wenn Ai Weiwei über die Stühle geht, - wir dürfen das nicht - , dann sieht es aus, als läuft er über Wasser."

Fortsetzung folgt. Es war einfach sooo viel....







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