Sonntag, 4. Mai 2014

Kinder und Kunst: Ai Weiwei Teil 2


Eine kurze Zwischenbemerkung noch zur Nacktheit in der Kunst und zu Kindern:

Jede Kultur regelt Nähe/Distanzverhältnisse im Detail etwas anders als andere Kulturen. Kinder wachsen in "unsere" und in ihre Welt ja noch hinein.
 
Es ist nicht ausgemacht, dass die Sozialisationsinstanzen Elternhaus und Schule da eine sichere Teilhabe, die auch Teil der Enkulturation ist, und diese wiederum Grundlage von Teilhabe und Aufstieg in einer Gesellschaft ist , dass das bei Siebenjährigen per se  schon komplett geleistet sei.

Auf diesem Hintergrund ließe sich Ai Weiweis Abweichung ja auch nur verstehen und beurteilen.

Zuwanderfamilien haben manchmal auch andere Codices als die mitteleuropäischen Gesellschaften, in denen sie jetzt leben. Für ihre Kinder ist es dann doppelt schwer, Verhaltenssicherheit und angemessene Beurteilungen zu entwickeln.

Ai Weiwei darf sich präsentieren wie er möchte, seine Person, seinen Körper zum Ausdruck dessen, was er ausdrücken möchte, einsetzen. Das ist seine Sprache und seine künstlerische und politische Ausdrucksweise.

Aber sechs- bis siebenjährige Kinder haben noch nicht die Verhaltenssicherheiten wie Erwachsene. Sie sind darauf angewiesen, diese mit unserer Hilfe zu entwickeln. Ihnen so en passant eine Postkarte mit einem splitterfasernackten Mann in die Hand zu geben, ist für meine Begriffe nicht sinnvoll.  Oder sollte so Werbung gemacht werden für den Film, für den das Bild wirbt? Hat in einer Kindergruppe dann bestimmt nicht geklappt. So weit dieses am Rande....
Auf den Hinweis, dass es in der Gemäldegalerie auch allerhand Nacktheit zu sehen gibt, könnte ich jetzt nichts Schlaues sagen. ;) Aber tragen die nicht mindestens noch ein kleines Feigenblatt??? Wir bleiben "dran".


                                  



Was seht Ihr hier? Schlangen. Sie bewegen sich, sie häuten sich. Wir setzen uns auf den Boden, den Tischen gegenüber. Aus welchem Material sind die Schlangen? Aus Stein, aus wertvollem Stein, aus dem wertvollsten Stein, mit dem man bauen kann, aus Marmor.

Aus Marmor wurden früher Figuren gemacht von Göttern und wichtigen Menschen. Ai Weiwei hat diese Schlangen aus Marmor gemacht. Sonst sind diese Schlangen keine Schlangen, sie sind gerade und Eisenstangen, mit denen man Häuser baut, sie sind innen in den Häusern drin, damit sie nicht umfallen und stabil bleiben.
Man nennt sie Armierungseisen. 

 


In China gab es ein Erdbeben. Es sind viele Schulen zusammengefallen und fünftausend Kinder gestorben, weil die Eisen in den Mauern fehlten, sie sollten drin sein, aber sie waren es nicht, und deshalb starben so viele Kinder.

Ai Weiwei möchte an die Kinder erinnern. Er hat alle ihre Namen herausgefunden und aufgeschrieben. Er hat die nach dem Erdbeben verbogenen Eisen gesammelt und ausgestellt. Er wollte, dass man sich erinnert und keines von ihnen vergisst.




Hier kann man alle Namen der Kinder lesen. Auf chinesisch.



Wir gehen weiter in einen Raum, in dem es so aussieht:






Was da so auf einem Haufen wimmelt, sind fünftausend Krebse, nachgebildet in Porzellan, und, wie bei den Hockern: Jeder ist anders als alle anderen. Jeder ist etwas Besonderes für sich. Und alle liegen neben- und übereinander. Welcher Eindruck entsteht dabei? Ist es nicht auch unangenehm, ist es nicht auch ein Kampf der Krebse untereinander?





Dazu kann man sich viele Gedanken machen. Das tun wir auch, mit Frau Kohlbergs Hilfe und ihren Anregungen. Dass andauernd die Alarmanlage an der Lichtschranke lostutet, bekommen wir eher als ein Hintergrundgeräusch mit.

Wir sind schon lange da. Jetzt gehen wir zu einem holzumbauten Raum, einer Nachbildung der Zelle, in der Ai Weiwei fast drei Monate festgehalten wurde, auch, weil er die Sache mit den toten Kindern und das Verschulden der Behörden daran bekanntgemacht hatte.

Anschließend musste er unterschreiben, dass er davon nichts öffentlich machen würde. Er unterschrieb, ging nach Hause und machte es allen Leuten bekannt.

"Er ist mutig", sagt jemand. "Er traut sich was."





Tag und Nacht brannte Licht, immer standen zwei Wächter neben ihm, egal, wo er war, auch nachts, immer 80 cm entfernt. Es gab nur Bett, Sessel und Toilette.

80 Zentimeter, das ist etwa so viel:







Er sagte, er konnte während dieser Zeit nur etwa zwei Stunden pro Nacht schlafen....

- "Sind die Wächter denn nicht auch mal müde geworden?"-

Das waren nachdenkliche Momente und Fakten, die viele Kinder später noch sicher länger beschäftigt haben.



Wir haben uns bei Frau Kohlberg bedankt, sie hat uns sehr kundig in die Welt, das Leben  und das Werk Ai Weiweis eingeführt. Wir merkten gar nicht, wie schnell die Zeit vergangen war! Eineinhalb Stunden!

Dann wieder raus in unsere gewohnte Welt, in den Verkehr und mit dem Bus 41 wieder "nach Hause" gefahren!

Man kann auf diesem Bild mitbekommen, dass Kreuzberger auch schon in jungen Jahren ganz schön stylish aussehen können. Respekt, Amina, das sieht sehr cool aus!



Das findet Jasper auch...

Auf dem Hinweg hatten wir uns noch etwas in spontanem exzessivem Guerilla-Gardening geübt, mit allen  Pusteblumen, die da herumstanden.  Hoffentlich bringt's im nächsten Jahr etwas.









Das war unser Kunstausflug ins Gropiushaus zur Ausstellung "Evidence" von Ai Weiwei. Er hat Lust gemacht auf mehr.

Vielleicht mal bald Gemäldegalerie???


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